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Der Garten zum Turm

Zu Hölderlins Zeit gehörte zum Turm lediglich ein kleiner Küchengarten, der 1876 überbaut wurde. Die daran angrenzende Grünfläche war Teil des Klinikums. Auch Hölderlin wurde dort im Zuge seiner Behandlung ein Spaziergang verordnet.

Blick auf den Hölderlinturm aus dem Garten. Im Vordergrund eine steinerne Treppe mit einer Schautafel

Eine Treppe für Hölderlin?

Im September 1806, zwölf Tage nach Hölderlins Einlieferung in das Universitätsklinikum, wurde die steinerne Treppe fertiggestellt, die der junge Direktor Autenrieth in Auftrag gegeben hatte.

Schreinermeister Zimmer, der damals bereits Arbeiten für das Klinikum erledigt und auch den erkrankten Dichter dort besucht hatte, lieferte für den Abgang die passende »eichene Thüre 2 1/2 Zoll dik, 9 Schu hoch, 6 Schu breit«. Autenrieth wollte einen Zugang von seiner Klinik in den Garten am Neckar schaffen, den er kurz zuvor »für den Zwek des Instituts« erworben hatte; im Brandfall kam man so z.B. leichter ans Wasser. Der Klinikumsgarten erstreckte sich von dem schmalen ›Küchengärtle‹ der Familie Zimmer, das beim Wiederaufbau des Hauses 1876 dem erweiterten Erdgeschoss weichen musste, bis hin zu der Tuchmacherrahme, in der die Färber ihre Tücher zum Trocknen aufhängten.

Autenrieth nutzte den Garten auch therapeutisch: Zur Behandlung von »Melancholie und Hypochondrie« verordnete er Sturzbäder; Spaziergänge wurden ebenfalls verschrieben – »unter Aufsicht eines hinlänglich starken und verständigen Wärters«, auch »zur Belohnung von Wohlverhalten«. Hölderlin durfte fünf Wochen nach Beginn seiner Behandlung »Spazierengehen«. Im Mai 1807 wechselte er vom Klinikum in das Turmzimmer und sah Autenrieths Treppe nun von Zimmers ›Küchengärtle‹ aus.

Auf dem Neckar nach Griechenland

Der Neckar war Hölderlins Fluss. »In deinen Tälern wachte mein Herz mir auf«, heißt es in der dem Fluss gewidmeten Ode. Am Neckar wurde Hölderlin geboren – in Lauffen. Am Neckar wuchs er auf – in Nürtingen. Und am Neckar liegt er begraben – hier in Tübingen. In der zweiten Hälfte seines Lebens hatte er den Fluss von seinem Zimmer aus täglich vor Augen.

Blick auf den Neckar und den von Trauerweiden umgebenen Hölderlinturm von der Neckarbrücke

Gewiss hat Hölderlin auch die Donau bedichtet, und der tiefe Eindruck, den der »stillerhabene« Rhein bei ihn hinterlassen hat, ist etlichen seiner Verse abzuspüren. Aus keinem dieser Gedichte spricht jedoch ein so inniges Vertrauensverhältnis wie aus der Ode, die er als 30-Jähriger an den Neckar adressiert hat. Inmitten des Bekenntnisses zum heimatlichen Fluss wechselt die Perspektive zu Hölderlins Sehnsuchtsort Griechenland. Aber auch dort weicht ihm der Neckar nicht »aus treuem Sinn«.

Zu euch, ihr Inseln! bringt mich vielleicht, zu euch
Mein Schuzgott einst; doch weicht mir aus treuem Sinn
Auch da mein Nekar nicht mit seinen
Lieblichen Wiesen und Uferweiden.

Friedrich Hölderlin: Der Nekar

Ein Garten für den Dichter

Zu Hölderlins Zeit gab die Fläche um den Turm herum ein ganz anderes Bild ab. Sie war aufgeteilt in mehrere Grundstücke, die unter anderem zum Anbau von Gemüse oder auch zum Wäschetrocknen benutzt wurden. Nur ein kleiner Teil gehörte zum Haus. Um den Turm als Erinnerungsort aufzuwerten, wurde darin in den 1950er Jahren nicht nur ein Museum eingerichtet; es wurden auch sämtliche Grundstücke zusammengelegt und einheitlich gestaltet. Aus den vielen Nutzgärten wurde ein Museumgarten. Das heutige Ensemble war geschaffen.

» Seit 8 Tagen Blühen hir, Seidelbast, SchneGloken, Hiazinten, Veilchen, und zim theil Pfirschen. An unserem Hause steht ein Birnbaum desen Knospen in einige Tage zur Blüthe kommen werden. «

Ernst Zimmer an Oberamtspfleger Burk, 29. Januar 1834

Ein Bild aus dem unteren Teil des Gartens mit Flussufer und Trauerweide

1956 wurde die ›HÖLDERLIN‹–Skulptur von Ivo Beucker aufgestellt, die weniger den Dichter porträtieren als seine »dichterische Aussage« abbilden sollte. Sie ergänzte die Bronzebüste von Maximilian Wittmann, die 1933 zum 90. Todestag des Dichters in einer Nische im Turmsockel aufgestellt worden war und den jungen Hölderlin nach dem Porträt von Franz Carl Hiemer zeigt.

Skulptur eines knienden Mannes der nach oben blickt

Das gesamte Gartengelände wurde zum 250. Geburtstag Hölderlins von der Wüstenrot Stiftung instandgesetzt und neu gestaltet.

Wir danken der Wüstenrot Stiftung für ihre Unterstützung

Logo der Wüstenrot Stiftung

Jedes Gedicht hat ein Tempo

Der französische Germanist Pierre Bertaux, der das heutige Hölderlin-Bild maßgeblich mitgeprägt hat, behauptete, man könne Hölderlins Versen den schnellen Schritt des »rüstigen Wanderers« abspüren. Im Gegensatz dazu wirkten Goethes Hexamter »behäbig, wie Goethe selbst«. Bei diesem reiche »Tempo 60, ein Schritt pro Sekunde«. In diesem Tempo sei er, »die Hände im Rücken, in seinem Arbeitszimmer in Weimar in langsamem Schritt um den Tisch« gegangen; »Hölderlins Hexameter dagegen verlangt, im Tempo 80 vorgetragen zu werden, weil es in diesem Tempo konzipiert wurde.«

Bild der Gedicht-Laufstrecke im Garten

In der Tat spricht vieles dafür, dass Hölderlin seine Verse im Gehen erprobt hat. Er bekannte bereits als Klosterschüler in Maulbronn:

»Ich mache wirklich über Hals und Kopf Verse […] Auf meinen Spaziergängen reim‘ ich allemal in meine Schreibtafel.« Und aus der Zeit im Tübinger Stift berichtet Magenau, wie der Studienfreund »Holz« mit seinen Versen im Schlafsaal auf– und abgelaufen sei: »Nur hie u(nd) da erschallt der Ochsenstall von Holzens Centaurähnchem Poeten Schritt, wenn allen fals aufs Wörtchen: Fluchtal: der schwere Reim ihm noch gebricht.«

Ob man Hölderlins Gedichten dabei anmerkt, dass ihr Verfasser ein sportlicher Wanderer war, der Strecken von 50 Kilometern am Tag zurücklegte? Der den Rhythmus seiner Verse im Gehen ausprobierte? Das kann jeder selbst ausprobieren. Auf unserer Gedichtlaufstrecke im Garten – oder aber auch zuhause im eigenen Wohnzimmer. Versuchen Sie, Ihre Laufgeschwindigkeit an den gleichmäßigen Takt des Gedichts anzugleichen. Welches Vortragstempo, beziehungsweise welche Schrittgeschwindigkeit passt Ihrer Meinung nach am besten zum Gedicht?

Ein Gedicht – drei Geschwindigkeiten
Der Gang aufs Land
Komm! ins | Offene, | Freund! zwar | glänzt ein | Weniges | heute
Nur he|runter und | eng | schließet der | Himmel uns | ein.
Weder die | Berge | sind noch | aufge|gangen des | Waldes
Gipfel nach | Wunsch und | leer | ruht von Ge|sange die | Luft.
Trüb ists | heut, es | schlummern die | Gäng‘ und die | Gassen und | fast will
Mir es | scheinen, es | sei, | als in der | bleiernen | Zeit.
Dennoch ge|linget der | Wunsch, Recht| glaubige | zweifeln an | Einer
Stunde | nicht und der | Lust | bleibe ge|weihet der | Tag.
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Langsam

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Gemäßigt

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Zügig

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Hölderlinturm Tübingen

Bursagasse 6
72070 Tübingen

hoelderlinturm@tuebingen.de