Hölderlin im Stimmungsbarometer
Zur Zeit der Entstehung von ›Hälfte des Lebens‹ war Hölderlin in seinen 30er Jahren. Von der Hälfte, beziehungsweise Mitte, seines Lebens spricht er auch in mehreren Briefen an Freunde und Verwandte. Stets steht er dabei unmittelbar vor Antritt einer neuen Stelle als Hauslehrer. Sie waren ihm Fluch und Segen zugleich: Einerseits entbanden sie ihn vom Pfarrberuf, dem er sich durch seine Schul- und Studienlaufbahn verpflichtet hatte, andererseits hätte Hölderlin seine Zeit lieber ausschließlich dem Schreiben und der Beschäftigung mit der griechischen Literatur und Kultur gewidmet.
Lies die Briefe und beurteile, wie Hölderlin darin auf dich wirkt.
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Brief an den Bruder Karl vom Februar 1796, als Hölderlin gerade eine neue Hauslehrerstelle in der Frankfurter Bankiersfamilie Gontard angetreten hatte und sich schon bald darauf in die Frau des Hauses, Susette Gontard verliebte. Zu diesem Zeitpunkt war Hölderlin noch keine 26 Jahre alt.
Lieber Bruder!
Ich danke Dir ganz herzlich für die brüderliche Theilnahme an meinem Schiksaale, wie auch unserer lieben Mutter. Du hast mich in bösen Tagen gesehn und Geduld mit mir gehabt, ich wollte nun auch, Du könntest die fröhlichere Periode mit mir theilen.
Es war auch Zeit, daß ich mich wieder etwas verjüngte; ich wäre in der Hälfte meiner Tage zum alten Manne geworden. Mein Wesen hat nun wenigstens ein paar überflüssige Pfunde an Schwere verloren und regt sich freier und schneller, wie ich meine.
Deus nobis haec otia fecit. [Vergil: Ein Gott hat uns diese Muße geschaffen.] Du wirst mir das gönnen, Lieber! wirst nicht gerade deßwegen denken, daß meine alte Liebe rosten werde über meinem neuen Glük. Aber Glük wirst Du meine Lage auch nennen, wenn Du selbst siehst und hörst, und das kann ich, wenigstens, was die Reisekosten und Logis und Kost in Frankfurt betrift, sehr bald und sehr leicht möglich machen.
glücklich
unzufrieden
verzweifelt
zuversichtlich
entschlossen
sehnsüchtig