Turm in Flammen!
Es brennt! In der Nacht zum 14. Dezember 1875 steht die »Eberhardtei« lichterloh in Flammen. Viele kennen das Haus am Neckar wegen seiner beliebten Warm-Badeanstalt. Und weitere Unglücke folgen: Die Stadt wird danach von einer ganzen Serie verheerender Brände heimgesucht. Das Gerücht vom Tübinger Feuerteufel geht um. Der Hund des Badbetreibers Eberhardt bleibt vermisst und der Schriftsteller Bruno Wille erinnert an Mörikes Ballade vom Feuerreiter.
Was hat dies alles mit Hölderlin zu tun? Und vor allem: Wer ist für die mutmaßliche Brandstiftung verantwortlich?
Eine detaillierte polizeiliche Akte zur Unglücksnacht, die nach rund 150 Jahren heute wieder vorliegt, lässt wenig Zweifel daran, dass ein Brandstifter das Feuer gelegt haben muss.
Trotz bestehender Verdächtigungen erhob die Staatsanwaltschaft damals keine Anklage. Heute können wir mit der Polizeiakte und den darin enthaltenen Befragungen von Zeugen und Verdächtigen die Brandnacht rekonstruieren.
Rollen wir den Fall wieder auf!
Schadensbild
Karl Gußmann, der letzte Bewohner von Hölderlins Turmzimmer, 1927
So kannte Hölderlin das Haus. Sein Pflegevater Ernst Zimmer stockte 1820 den „turmartigen Vorbau“ auf und baute später das Erdgeschoss als Wohnraum aus. (Foto: Paul Sinner, vor 1874)
Vor dem Brand, 1874. Hier sieht man den Ausbau des Dachgeschosses, der 1874 entgegen Widerstände des Nachbarn und Brauereibesitzers Betz von Carl Friedrich Eberhardt vorgenommen wurde. Wegen des beengten Raumes im Zwinger, den sich die beiden teilen mussten, lieferten sie sich einen erbitterten Nachbarschaftsstreit
Der noch unverputzte Hölderlinturm nach dem Brand, 1876. Stadtarchiv Tübingen
Ermittlungsstand
Aus der Feuerpolizeiakte: Brief von Oberamtmann Sandberger an die Tübinger Staatsanwaltschaft:
Für den leitenden Ermittler, Oberamtmann Sandberger, war der Tatbestand der Brandstiftung durch die Aussagen der vernommenen Zeugen faktisch erwiesen. Er leitete die Akte mit seinem Bericht zum Brandhergang und den Protokollen der Zeugenbefragungen kurz vor Weihnachten an die Staatsanwaltschaft weiter. Im beigelegten Brief unterrichtet er diese von seinem schlimmen Verdacht:
Jedoch wurde die Akte vom Staatsanwalt bereits drei Tage später wieder zurückgesandt - mit der Randnotiz, dass er »zur Zeit noch keinen Grund z. Erhebung einer gerichtlichen Klage wegen Brandstiftung finden konnte.«
Damit wurde die Ermittlung beendet und die Akte nach Auszahlung der Versicherungssummen geschlossen. Bis heute!
Tathergang
Aus den Zeugenaussagen ergibt sich ein klares Bild:
- Bereits zwei bis drei Wochen vor der Tat hat der Täter sich zum ersten Mal Zugang zum Haus verschafft, wurde aber vom Haushund vertrieben.
- Vier bis sechs Tage vor dem Feuer hat er einen Brennholzstapel, der im Gang auf der Kellerdecke neben der Treppe hoch zum 1. OG aufgetürmt war, manipuliert, genauer: mit Petroleum übergossen, und Reisig und einen Wäschestangen aus Holz dazugelegt. Er musste nun nur noch einen geeigneten Moment abpassen.
- Die Haustür der Eberhardts wurde in der Regel nicht abgesperrt, der Hund wachte ja darüber. Abends wurde er für gewöhnlich hinausgelassen, und kam selbständig wieder heim. Am Abend der Tat kam der Hund jedoch nicht wieder zurück; der Täter passte ihn wohl ab. So konnte er den Holzstapel ungestört in Brand zu setzen.
- Wenige Minuten später standen der Gang und die Treppe in Flammen, kurz darauf brannte das gesamte Obergeschoss.
Vernehmungsprotokolle
Carl Friedrich Eberhardt
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Adolf Stoll, Werkmeister
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Verdächtigungen
Dass es Brandstiftung gewesen sein muss, scheint durch die Vernehmung erwiesen. Aber wer kann es gewesen sein?
Eine weitere heiße Spur liefert Schriftsteller Bruno Wille (1860-1928). Als Jugendlicher erlebte er den Brand mit, später erlangte er unter anderem als Gründer der Berliner Volksbühne Berühmtheit. In seinem autofiktionalen Roman »Der Glasberg« erinnerte er sich an seine Jugendjahre in Tübingen zurück. Darin beschreibt er akkurat die Vorkommnisse der Brandnacht, und erzählt, wenn auch in etwas abgewandelter Form, vom Streit zwischen Eberhardt (im Roman Spengler) und Betz. Auch die im Roman erwähnte Brandserie, die nach 1874 ganz Tübingen in Angst und Schrecken versetzte, ist historisch verbürgt. An anderer Stelle wiederum scheint manches hinzugedichtet worden zu sein. Unklar bleibt: Sind der nie gefasste Feuerteufel von Tübingen, der damals für die Brandserie verantwortlich gemacht wurde, und der Brandstifter des Eberhardtschen Hauses ein und dieselbe Person, wie der Roman nahelegt?
Weitere Vermutungen
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Welche dieser Personen war es? So richtig werden wir den Fall vermutlich eher nicht beantworten können. Aber vielleicht hast Du ja eine Idee, wer es gewesen sein kann?
Nach dem Brand und der Auszahlung der Versicherungsgelder wurde das Gebäude wiederaufgebaut. Der Erker am Haus wurde als Rundturm im historistischen Stil neu aufgeführt, das neue Spitzdach verstärkt den turmähnlichen Charakter und ist vielleicht an den vormaligen mittelalterlichen Wehrturm angelehnt, auf dessen Fundament er steht.
Im Lageplan zum Wiederaufbau erhält er erstmals die Bezeichnung „Hölderlins Thurm“
Impressum
Turm in Flammen! Die Fahndungsakte »Feuerteufel«
20. September 2024 bis 9. Januar 2025
Hölderlinturm Tübingen
Gefördert aus Landesmitteln durch die Arbeitsstelle für literarische Museen, Archive und Gedenkstätten in Baden-Württemberg (Deutsches Literaturarchiv Marbach)
In Kooperation mit dem Landesarchiv Baden-Württemberg, Abteilung Staatsarchiv Sigmaringen und dem Zentrum für Medienkompetenz der Universität Tübingen
Kuratierung: Florian Mittelhammer
Illustrationen und Cartoons: Peter Puck
Szenografie: Stephan Potengowski
Grafik: Martin Bertele
Vertonung: Stefanie Schleicher
Sprecherinnen und Sprecher: Ulrich Hägele, Gilbert Mieroph, Nils Mano, David Mayer, Julia Zschauer, Jonathan Wiese, Janis Hanenberg, Lieselotte Kohl, Stefanie Schleicher