Silben klopfen
Die Verse umfassen unterschiedlich viele Silben und sind freirhythmisch gestaltet. Ein genauerer Blick auf das metrische Versschema zeigt aber, dass gewisse Silben- und Betonungsfolgen immer wiederkehren. Insbesondere ein Versmaß, das durch die griechische Dichterin Sappho geprägt wurde: Der Adonius – laut Winfried Menninghaus eine der eingängigsten metrischen Figuren überhaupt.
Daktylus
betont, unbetont, unbetont
—◡◡
Trochäus
betont, unbetont
—◡
Adonius
betont, unbetont, unbetont, betont, unbetont
—◡◡ —◡
Manchmal steht anstelle des Trochäus auch ein Spondeus, ein Versmaß, in dem zwei betonte Silben aufeinanderprallen.
Daktylus
betont, unbetont, unbetont
—◡◡
Spondeus
betont, betont
——
Adonius
betont, unbetont, unbetont, betont, betont
—◡◡ ——
Der Adonius hat seinen Namen von den Klagen um den Tod des schönen griechischen Jünglings Adonis, der sowohl Frauen als auch Männer betört haben soll: »ô ton Adônin« (—◡◡ | —◡).
Die griechische Dichterin Sappho hat dieses metrische Schema zu ihrem Markenzeichen gemacht: Ihre lediglich fragmentarisch überlieferten Gedichte, für die sie eine ganz eigene Form der Ode kreierte, schließen stets mit dieser Betonungsfolge.
Hölderlin hat etliche adonische Wortgruppen über den Text vertreut. Das rhythmische Betonungsmuster kommt immer wieder vor und wird schließlich im letzten Vers noch einmal aufgegriffen, der dadurch zu einer Art Höhepunkt wird, auf den die vorausgegangen Verse zulaufen:
Und zusammen mit der prächt'gen
Garonne meerbreit
Ausgehet der Strom. Es nehmet aber
Und giebt Gedächtniß die See,
Und die Lieb’ auch heftet fleißig die Augen,
Was bleibet aber, stiften die Dichter.