Das Reisen zu Hölderlins Zeit
Hölderlin war mit der Reiseliteratur seiner Zeit gut vertraut. Ebenso wie Schiller las auch er bereits auf der Lateinschule Homers antike Erzählung über die abenteuerliche Irrfahrt, die Odysseus zurücklegen muss, bevor er in seine Heimatstadt Ithaka zurück darf. Schon damals begeisterte sich Hölderlins für die griechische Antike und ihre Literatur. In seinem Griechenland-Roman ›Hyperion‹ finden sich zahlreiche Verweise auf Homer, die griechischen Tempelbauwerke und die einstige Hochkultur, von der im Roman allerdings nur noch Ruinen erhalten sind.
Karte aus Richard Chandlers ›Reisen in Griechenland‹
Aus Richard Chandlers Bericht über seine Reise durch Griechenland in den 1760er-Jahren hat Hölderlin ganze Passagen fast wörtlich übernommen. Das Buch des Engländers ermöglichte ihm auch die geografische Orientierung: So sieht Hyperion den Isthmus von Korinth zu Beginn des Romans, als ob er auf eine der beigefügten Landkarten blicken würde. Doch obgleich er die Landschaftsbeschreibungen dieses Romans allein durch das Studium von Landkarten und Reisebeschrebungen gewann, war Hölderlin durchaus kein reiner Schreibtischreisender. Schon während seines Studiums in Tübingen zog es ihn für eine Wanderung in die Schweiz, auf die Spuren von Wilhelm Tell.
Anders als Schiller, der den schweizer Freiheitskämpfer später zur legendären Figur seines letzten Dramas machte, ohne dafür auch nur einen Fuß in die Schweiz zu setzen, ist Hölderlin Tells Gebirgswanderung zur Stelle des Rüttli-Schwurs selbst nachgelaufen und hat diese Reise ins »Land der göttlichen Freiheit« in seinem Gedicht ›Kanton Schweiz‹ festgehalten.