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Hölderlins Beweggründe

Für Hölderlin waren die Hauslehrer-Stellen in erster Linie ein Weg, um sich der Theologen-Laufbahn zu entziehen, die für ihn vorgesehen war. Sie brachten ihm gerade so viel Geld ein, um davon leben zu können. Unterkunft und Verpflegung waren ohnehin inbegriffen. Die freie Zeit, die ihm daneben blieb, nutzte er für das Schreiben. Darüber hinaus boten ihm die wechselnden Hauslehrer-Stellen aber auch eine Möglichkeit, in die Welt hinauszuziehen, neue Landschaften, Orte und Menschen kennenzulernen. Ohne die Anstellung in Bordeaux hätte er wohl nie die Gelegenheit gehabt, das Meer zu sehen. Wie aus dem Brief an seinen Freund Böhlendorf hervorgeht, verband Hölderlin mit dem Aufbruch nach Bordeaux die Chance auf einen Neuanfang, der ihm in der Heimat nicht mehr möglich schien.

Vitrine mit einer alten Ausgabe von Hölderlins ›Hyperion‹ aus dem Besitz von Ernst Zimmer

›Hyperion‹-Ausgabe aus dem Besitz von Ernst Zimmers

In seinem Roman ›Hyperion‹ hat Hölderlin den Lauf eines Menschenlebens als »exzentrische Bahn« beschrieben: Um sich zu entwickeln, muss sich der Einzelne aus seinem Zentrum heraus bewegen. Indem er Fremdes kennenlernt, kommt er zu sich selbst und findet seine Position in der Welt. Im Reisen öffnet sich der Mensch für neue Eindrücke, andere Kulturen und Gesellschaften, neue Sichtweisen und Lebensarten. Er kann sie sich aneignen oder sich davon abgrenzen und entwickelt dadurch eine Vorstellung davon, wie er selbst leben möchte. Er wird sich seiner eigenen Kultur und seinen eigenen Einstellungen bewusst. Durch die Begegnung mit dem Fremden entwickelt er ein Selbst-Bewusstsein.

So hat auch Hölderlin immer wieder die Sehnsucht nach der Ferne gepackt. Doch ebenso sehr zog es ihn von dort in die schwäbische Heimat zurück. Hölderlins Zerrissenheit zwischen der verheißungsvollen Ferne und der vertrauten Heimat, in der er doch nicht Fuß fassen kann, zeichnet sich sowohl in seinen Briefen als auch in seinen Gedichten ab. Während Gedichttitel wie ›Der Archipelagus, ›Der gefesselte Strom‹, ›Der Ister‹ oder ›Die Wanderung‹ den Blick in die Ferne lenken, weisen die Gedichte ›Die Heimath‹, ›Rükkehr in die Heimath‹ und ›Heimkunft. An die Verwandten‹ in die entgegengesetzte Richtung. Ein Zeitgenosse Hölderlins, der Dichter Novalis, hat es einmal so formuliert:

» Wohin gehen wir? Immer nach Hause! «

Novalis

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