Tübinger Hoffnungen
Hölderlin kannte den Turm am Neckar bereits, bevor er hier Quartier erhielt. Von 1788 bis 1793 hatte er am Evangelischen Stift Theologie studiert, dabei jedoch nur umso mehr den Wunsch entwickelt, Schriftsteller zu werden.
Hölderlins Studienjahre in Tübingen
Als 18-jähriger hatte Hölderlin das unweit gelegene Tübinger Stift bezogen – eine einzigartige und streng geführte Ausbildungsstätte für Theologen, an der er fünf Jahre studierte und dabei auch mit den später berühmten Philosophen Hegel und Schelling Freundschaft schloss.
Am Ende seines ersten Studienjahrs wurde in Paris die Bastille gestürmt und die Französische Revolution berauschte mit ihren Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ganz Europa und auch die jungen Stiftler. Hölderlin griff diese großen Themen in seinen hier entstandenen Hymnen auf und spiegelte sie auch im antiken Griechenland, das als Sehnsuchts- und Ideenraum sein weiteres Werk bestimmen wird. Einige der Tübinger Gedichte wurden am Ende seines Studiums gedruckt – Hölderlins erste Veröffentlichung.
1793 schloss er sein Theologiestudium ab und wurde durch Schillers Vermittlung Hauslehrer. Als Pfarrer hat er nie gewirkt.
Eine Seele in drei Leibern
Im März 1790 gründete Hölderlin mit seinem »Herzensbruder« Neuffer und mit Magenau, den er schon aus der zuvor besuchten Klosterschule Maulbronn kannte, den Aldermannsbund – benannt nach jener geistigen Elite, der sein Vorbild Klopstock in der ›Deutschen Gelehrten-Republik‹ (1774) eine besondere Entscheidungsgewalt gab.
›Bundesbuch der Aldermänner‹ aus der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart
Das eigens dafür angelegte, 346 Seiten starke ›Bundesbuch‹ hält jene Gedichte fest, mit denen die drei im wöchentlichen Ritual ihre Freundschaft feierten. Stets war ein Thema vorgegeben, zu dem jeder ein Gedicht verfasste. Die regelmäßigen Einträge im Bundesbuch brechen allerdings bereits nach drei Monaten ab. Gerade einmal 11 Gedichte sind darin versammelt.
Friedrich Hölderlin: Lied der Freundschaft
Drei Dichter – drei Handschriften
In der Titelei des Buches haben die drei Aldermänner eigenhändig ihre Namen eingetragen. So lässt sich auch auf den darauffolgenden Seiten leicht identifizieren, aus welcher Hand welches Gedicht stammt.
Rudolf Friedrich Heinrich Magenau,
aus Marck-Gröningen.
Christian Ludwig Neuffer,
von Stuttgardt.
Johann Christian Friedrich Hölderlin,
aus Lauffen.
Magenaus ›Bundes-Lied‹
Rudolf Magenau, der älteste im Bunde, war der Erste, der am 9. März 1790, dem »Tage der Einweihung«, sein ›Bundes-Lied‹ in das Buch eintrug.
Neuffers ›Rundgesang für Freunde‹
Als Zweiter schrieb Christian Ludwig Neuffer seinen ›Rundgesang für Freunde‹ hinein.
Hölderlins ›Lied der Freundschaft‹
Hölderlin, den seine Freunde »Holz« nannten, verfasste zum gleichen Thema sein ›Lied der Freundschaft‹.
Es folgten ein ›Lied der Liebe‹ und Verse ›An die Stille‹. Allen dreien ist bereits jener hymnische Ton zu eigen, der Hölderlins Tübinger Dichtung im Ganzen kennzeichnet.
Ein Dichter im Schlafrock
Der Stiftler im Schlafrock. Zeichnung aus der Württembergischen Landesbibiliothek Stuttgart
Mit dem Bundesbuch wurde auch ein Brief von Magenau an den krank zuhause weilenden Neuffer überliefert, der eine kleine Karikatur enthält: Sie zeigt den dichtenden Hölderlin in Neuffers geblümtem Schlafrock. Dazu berichtet Magenau von Hölderlins nächtlichen Aktivitäten im ›Ochsenstall‹, dem gemeinsam geteilten Schlafsaal im Stift:
»Nur hie u(nd) da erschallt der Ochsenstall von Holzens Cenaurähnlichem Poeten Schritt, wenn allen fals aufs Wörtchen: Fluchtal : der schwere Reim ihm noch gebricht. Auch sieht ihn oft der welke Wöhrd [gemeint ist das Neckarufer] in deinem Schlafrok durch des hohen Stalles nidre Fenster Pforte bliken, gen Himmel schaut er, ob ihm nicht des Gottes Salbung möchte hernider fließen.«
Im Herbst 1790 bezog Hölderlin mit dem gleichaltrigen Georg Wilhelm Friedrich Hegel, dem gerade einmal 15-jährigen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling und sieben weiteren Stipendiaten eine der engen beheizbaren Winterstuben. Mehr zur Freundschaft der drei großen Denker und ihrer legendären Philosophen-WG gibt es hier.