Hölderlins Wirkung
Die Geschichte des Hölderlinturms reicht um einiges über die Jahre hinaus, die sein Namensgeber hier verbrachte. Er diente als Färberei, Tuchmacherei, Brauerei, Schreinerwerkstatt, Dichterhaus und Badeanstalt. Seine bis heute anhaltende Anziehungskraft verdankt er jedoch dem Dichter und seiner beeindruckenden Wirkungsgeschichte.
Abgebrannt
30 Jahre nach Hölderlins Tod ist das Gebäude, in dem er die zweite Hälfte seines Lebens verbrachte, niedergebrannt. Die schwäbischen Romantiker um Ludwig Uhland, Gustav Schwab und Eduard Mörike, die sich Hölderlins Werk bereits zu dessen Lebzeiten annahmen, haben das Haus aber noch so kennengelernt, wie es der Dichter selbst erlebt hat. In leicht veränderter Form ist es 1876, ein Jahr nach seiner Zerstörung, wieder aufgebaut worden.
Hölderlins Thurm
Dass der Ort erst mit dem Neubau seinen Namen erhielt und seither ›Hölderlins Thurm‹ heißt, bekundet das wachsende Interesse am Werk und der letzten Lebensstation des Dichters. Seine Rezeption, die zunächst weitgehend auf Schwaben begrenzt blieb, nahm um 1900 Fahrt auf – besonders durch den Kreis um Stefan George und die Dichter des Expressionismus.
Ort der Inspiration
Bis heute findet sich kaum ein Schriftsteller, der Literatur, bildende Kunst und Musik derart herausgefordert hat wie Hölderlin. Für viele der Künstlerinnen und Künstler, die Tübingen selbst besuchten, vom Dichter Paul Celan über den Maler Alfred Hrdlicka bis hin zum Komponisten Luigi Nono, wurde der Turm zum Ort der Inspiration.
Paul Celans Gedicht ›Tübingen Jänner‹
Eine Erinnerung an »schwimmende Hölderlintürme« hält eines der wichtigsten Zeugnisse der literarischen Hölderlin-Rezeption fest: Paul Celans Gedicht ›Tübingen, Jänner‹, das unmittelbar auf einen Besuch des Dichters in Tübingen entstanden ist.
Paul Celans Gedichtmanuskript ›Tübingen, Jänner‹ aus dem Deutschen Literaturarchiv Marbach
Paul Celan: Tübingen, Jänner
Mehr zu Paul Celans Tübingen, ›Jänner‹
Marbach a.N. 2001 (Spuren 24)
Barbara Wiedemann: »Ein Faible für Tübingen«. Paul Celan in Württemberg – Deutschland und Paul Celan
Tübingen 2013
Joachim Lehrers ›Hölderlin oder Das goldene Zeitalter‹
Fotorealistisch und doch in verfremdeter, stürmischer Umgebung zeichnete der Künstler Joachim Lehrer den Hölderlinturm – und versteckte darin jede Menge Details aus Hölderlins Leben und Werk.
» In dem Werk ›Hölderlin – oder: Das Goldene Zeitalter habe ich – mehr oder weniger verschlüsselt – die Lebensstationen Hölderlins dargestellt: eine bildgewordene Biografie. «
Joachim Lehrer
Joachim Lehrer: ›Hölderlin oder Das goldene Zeitalter‹
Friedrich Hölderlin: Hyperions Schicksalslied
Der Turm damals und heute
Der Hölderlinturm 1869 und 2019
Die ältesten Teile des Turms gehörten zur mittelalterlichen Stadtbefestigung. Zwischen innerer und äußerer Stadtmauer errichtete man im 16. Jahrhundert eine Färberei, die 1778 umgebaut und mit dem danebenliegenden Wehrturm verbunden wurde. Auf dessen Sockel entstand auch jenes »achteckige Kämmerlein«, das später Hölderlins Zimmer werden sollte. Nach dessen Einzug wurde das Haus erweitert und 1820 sogar aufgestockt, um an Studenten vermieten zu können.
30 Jahre nach dem Tod des Dichters wurde das Gebäude zu einer Badeanstalt. Mit dem Wiederaufbau nach dem Brand erhielt der Turm seine heutige Gestalt. Hölderlins Zimmer verlor dabei zwei Fenster, gewann aber 4 m² hinzu und konnte bereits besichtigt werden. Doch erst 1915 wurde – allerdings hier im Erdgeschoss – ein Gedenkraum für den Dichter eingerichtet, der 60 Jahre später in Hölderlins Zimmer umzog. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs durch eine Gartenanlage aufgewertet, konnte der Turm 1984 zum Literaturmuseum ausgebaut werden. Zu Hölderlins 250. Geburtstag wurde das gesamte Ensemble – einschließlich des wieder erschlossenen zweiten Obergeschosses und des Gartens – völlig neu gestaltet.